„Ich würde gerne anders, aber es geht nicht.“ So beschreibt ein Brancheninsider die Stimmung unter Geschäftsführern im Pharmabereich. Denn während sich die Öffentlichkeit über dubiose Praktiken wie die sogenannten „Fangprämien“ und „Kaufmäuler“ oder über den Missbrauch von Anwendungsbeobachtungen erregt, will manch ein Arzt die Privilegien der Vergangenheit nicht verlieren. Ob
luxuriöse Reisen oder einfache Schecks – noch bis vor ein paar Jahren zogen Pharmavertreter mit wertvollen Geschenken durchs Land. Doch mit dem Stimmungswandel in der Öffentlichkeit und der zunehmend strengen Regulierung ist inzwischen höchst riskant, was früher gang und gäbe war. So berichtet die Münchener Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger: „Mit dem wachsenden
öffentlichen Bewusstsein gehen bei uns immer mehr Anzeigen ein.
Auch arbeiten wir verstärkt mit den Krankenkassen zusammen, die uns auf Missbrauchsfälle hinweisen.“ Ein zusätzlicher Risikokatalysator ist, dass zwar ein Teil der Ärzte weiter die Hand aufhält, andere, oft junge Berufskollegen, bei den Machenschaften aber nicht mitspielen. Manche erstatten sogar Anzeige, wenn der Vertriebler mit allzu großzügigen Päckchen im Behandlungszimmer
erscheint. Gleichzeitig werden die gesetzlichen Vorschriften wie der § 128 SGB V „Unzulässige Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten“ weiter verschärft.
Alte Strukturen aufbrechen
Um sich in diesem verminten Umfeld halbwegs sicher zu bewegen, investieren Pharmaunternehmen in den Aufbau von Compliance-Strukturen. Doch viele Compliance-Officer dürften in ihrem neuen Job auf Widerstand stoßen. Denn mit dem neuen Bekenntnis der Geschäftsführung zu sauberen Geschäften geraten Vertriebsmitarbeiter plötzlich in ein schwieriges Dilemma: Halten sie sich an die Compliance-Vorgaben, bricht ihnen
eventuell erst einmal der Umsatz ein. Dabei ist die Trennlinie zwischen schwarz und weiß alles andere als klar. „Es ist wichtig, zwischen der Vermittlung therapie- und produktbezogener Informationen einerseits und tatsächlich verbotenen Praktiken andererseits zu unterscheiden“, sagt der Revisor eines großen deutschen Pharmaunternehmens. „Schulungen und Seminare können durchaus kodexkonform gestaltet werden. Dabei darf
der Vertriebsmitarbeiter aber nicht den Eindruck erwecken, dass die Teilnahme in einem irgendwie gearteten Austauschverhältnis zum Verschreibungsverhalten des Arztes steht.“ Der heute selbständige Pharmaberater und vormalige STADA-Vorstand Dr. Alexander Oehmichen ergänzt: „Compliance ist Chefsache und hat auf der Agenda der Geschäftsführer Priorität. Allerdings ist es in der derzeit aufgeheizten Situation wichtig, dass
Compliance das Kind nicht mit dem Bad ausschüttet.
Vieles, was für eine sensibilisierte Öffentlichkeit erstmal dubios klingt, ist gesetzlich in Ordnung. So ist an einer vernünftig gestalteten Zusammenarbeit mit Ärztenetzen absolut nichts auszusetzen.“ Meint es ein Unternehmen mit der Korruptionsbekämpfung ernst, sind vor allem zwei Dinge wichtig: Compliance-Schulungen und eine an Compliance-Gesichtspunkten orientierte Vergütungsstruktur für Außendienstmitarbeiter.
Dabei muss der Compliance-Officer einige Tretminen vermeiden. Oehmichen: „Wer als Compliance-Officer die Aufgabe hat, mit alten Praktiken zu brechen, darf nicht wie der Elefant im Porzellanladen in der Unternehmensvergangenheit herumtrampeln. Alteingeschliffene Praktiken sollten nur dann aufgegriffen werden, wenn sie bis in die Gegenwart reichen. Sonst verspielt man als Compliance-Officer nur das Vertrauen
der Vertriebsmannschaft.“Alle Compliance-Maßnahmen bleiben aber halbherzig, wenn nicht auch die Vergütungsstrukturen angepasst werden: Bonisysteme müssen so gestrickt werden, dass sie rechtskonformes Verhalten unterstützen. Bricht einem Vertriebler der Umsatz weg, weil er zweifelhafte Forderungen eines Arztes ablehnt, darf er nicht finanziell bestraft werden. Die Einschätzung, ob ein Vertriebler Compliance
als Ausrede nutzt oder sich tatsächlich für saubere Geschäfte einsetzt, erfordert allerdings hohen Sachverstand: „Gute Führungskräfte im Vertrieb wissen, dass es zu kurzfristigen Umsatzeinbrüchen kommen kann, wenn die Vertriebsmitarbeiter neue Compliance-Vorgaben konsequent umsetzen, und werden dies daher in der Vergütung beachten.
Langfristig zahlt sich ethisches Verhalten in jedem Fall aus“, so Oehmichen. Klar ist: Ohne den so gerne zitierten „tone from the top“ wird jeder Compliance-Officer scheitern. Wer mitbekommt, dass der Geschäftsführer zwar detaillierte Kontrollstrukturen implementiert, dem Vertrieb aber augenzwinkernd freie Hand lässt, dem muss klar sein, dass Compliance als Feigenblatt missbraucht wird. „In so einem Fall“, sagt
Oehmichen, „sollte der Compliance-Officer so schnell wie möglich das Weite suchen.“