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  Wachgerüttelt

Das neue BGH-Urteil schreckt die Compliance-Zunft auf. Auch wenn nicht jeder mit einem Fuß im Gefängnis steht: Absichern sollten sich alle.

Waschen, aber nicht nass machen – und das bitte billig. Für viele Unternehmen ist Compliance nach wie vor nur ein Feigenblatt. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Wirtschaftskriminalitätsstudie, die gemeinsam von PricewaterhouseCoopers (PwC) und der Martin-Luther-Universtität Halle-Wittenberg durchgeführt wurde. Obwohl der Druck der Öffentlichkeit zunimmt und die Reputationsrisiken immer mehr steigen, stehen bei jedem fünften Unternehmen in den nächsten zwei Jahren Einsparungen bei der Prävention ins Haus. Doch eindeutige Signale aus Karlsruhe könnten viele nun wachrütteln. Denn in dem neuen BGH-Urteil vom 17. Juli 2009 (5 StR 394/08) wurde erstmals ein Compliance-Verantwortlicher, Leiter der Rechtsabteilung der Berliner Stadtreinigung (BSR), dem bis Ende 2002 auch die Innenrevision unterstellt war, wegen Beihilfe zum Betrug durch Unterlassen verurteilt. Damit ist er vorbestraft. Wie kam es zu dieser Verurteilung? Die BSR stellt 75 Prozent der Straßenreinigungskosten den Anwohnern in Rechnung und 25 Prozent dem Land Berlin. Gibt es keine Anwohner, trägt Berlin die Kosten. Bis ein Fehler passierte: In der Tarifperiode 1999/2000 wurden die Kosten für Straßenreinigung für Straßen ohne Anlieger zu 75 Prozent auf die Straßen mit Anliegern umgelegt. Der Angeklagte wusste von dem Berechnungsfehler, informierte aber weder den Vorstand noch wurde der Fehler korrigiert – auch nicht im folgenden Jahr.

Mit der BGH-Entscheidung liegt nun das erste Urteil zur Stellung und Funktion eines Compliance-Officers vor. Auch eine Definition der Compliance-Funktion gibt der BGH: Das „Aufgabengebiet ist die Verhinderung von Rechtsverstößen, insbesondere auch von Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden und diesem erhebliche Nachteile durch Haftungsrisiken oder Ansehensverlust bringen können.“ Auf den ersten Blick ist das nichts Neues. Ging es nicht bei Compliance schon immer um die Vermeidung von Regelverstößen? Wer sich aber die Zeilen ein zweites Mal durchliest, stößt doch auf einen spannenden Punkt: Das Gericht sieht die Funktion eines Compliance-Officers nach außen gerichtet. Darin liegt auch die wesentliche Abgrenzung zur Funktion eines Revisors, der in einem Unternehmen nach innen wirkt. Aus dieser Definition leitet der BGH die „Garantenpflicht“ eines Compliance-Verantwortlichen ab. Diese bedeutet, dass der Verantwortliche für seine Versäumnisse geradestehen muss. „Der Compliance-Officer ist nach Ansicht des BGH häufig beides, der Überwachungsgarant und der Beschützergarant“, stellt Dr. Sebastian Jungermann, Partner der Kanzlei Kaye Scholer, fest. „Zum einen soll er für die Einhaltung von Gesetzen sorgen, zum anderen das Unternehmen auch vor etwaigen Nachteilen wegen ,non-compliance‘ bewahren.“ Damit stellt das Urteil die Compliance-Verantwortlichen vor ein Problem. „Der BGH vertritt erstmals die Ansicht, der Compliance- Beauftragte hätte sämtliche Straftaten aus einem Unternehmen heraus zu verhindern. Schafft er dies nicht, steht er selbst in der Haftung“, erläutert Dr. Christian Pelz, Strafrechtsexperte der Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz.

Spricht man mit Praktikern über das Urteil, klagen fast alle über große Verunsicherung: Steht der Compliance-Verantwortliche nun mit einem Fuß im Gefängnis? „Ja“, meint Pelz, denn: „Der BGH hat dem Compliance-Verantwortlichen die gleiche oder sogar eine höhere Verantwortung als den operativen Einheiten zugewiesen.“ Zwecks Risikominimierung rät der Rechtsexperte, dass Compliance-Verantwortliche ihr Aufgabengebiet so klar wie möglich abgrenzen sollten, der Pflichtenkreis muss überschaubar sein. Auch Berichten an den Vorstand mit exakt definierten Zielen und Zeitvorgaben kommt jetzt eine noch größere Bedeutung zu. Nach Meinung einiger Rechtsexperten kann es sogar schon dann gefährlich werden, wenn ein Compliance-Officer gerade erst eine Organisation entwickelt: „Die Diktion des Urteils geht sehr weit und umfasst meiner Auffassung nach auch die Fälle, in denen die Compliance-Organisation noch nicht voll entfaltet ist“, sagt Rechtsanwalt Pelz. „Hat der Compliance-Officer die drei oder vier wesentlichen Risiken schon im Blick, kümmert sich aber aus Zeit- und Kapazitätsgründen noch nicht darum, ist er persönlich angreifbar: Folgt man der Logik des aktuellen BGHUrteils, könnte es auf Basis von bedingtem Vorsatz zu einer Verurteilung kommen.“ Auch wenn erst mal abzuwarten ist, ob die Gerichte in einem solchen Fall den Compliance-Verantwortlichen tatsächlich verurteilen würden, steht fest: Für Verunsicherung ist gesorgt. So manch ein Compliance-Praktiker denkt seither intensiver über eine D&O-Versicherung nach. Denn hat ein Compliance-Officer die gleichen Haftungsrisiken wie sein Vorstand, sollte er sich auch genauso absichern. Allerdings, so gibt ein Compliance-Praktiker zu bedenken: Bei Vorsatz – wie im aktuellen Fall – hilft auch eine D&O-Versicherung nicht. Deshalb will er seinem Vorstand nun – nach dem Motto: mehr Risiko, mehr Rendite – eine Gehaltserhöhung abringen.

Ob dies gelingen wird, bleibt abzuwarten. Tatsächlich aber zwingt das Urteil die Compliance-Zunft dazu , über die Grundfesten des Berufsbildes nachzudenken: Was mache ich, wenn ich mich nur durch eine für den Vorstand belastende Aussage aus der Bredouille ziehen kann? Wie viel Verantwortung kann an mich delegiert werden? Welche Kapazitäten benötige ich? Bei der letzten Frage kommt man wieder zur PwC-Studie: Werden in Krisenzeiten die Compliance-Budgets zusammengestrichen, kann der Compliance-Officer nicht für das vom BGH im aktuellen Urteil definierte Aufgabengebiet haftbar gemacht werden. Denn reichen die Kapazitäten schlicht nicht aus, handelt es sich um ein Organisationsverschulden – und hierfür haftet die Geschäftsführung. Bevor der Compliance-Verantwortliche sich jetzt aber ganz entspannt zurücklehnt, sollte er, mit Nachdruck und gut dokumentiert, auf die organisatorischen Mängel hinweisen: „Ich werde jetzt jede Woche zwei EMails an meinen Vorstand schreiben“, so der Compliance-Praktiker. Wahrscheinlich keine schlechte Idee.

Quelle: www.compliance-plattform.de


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