Die Weisheit, dass eine gelieferte Ware so lange ein Geschenk darstellt, bis sie bezahlt ist, besitzt auch heute noch Gültigkeit. Ein effektives Kreditmanagement kann dazu beitragen,
veränderte Verhaltensweisen von Bestandskunden zu registrieren und den Einfluss von Kundeninsolvenzen und den damit verbundenen Zahlungsausfällen zu minimieren.
Dieser traditionelle R/3-Prozess ist sowohl in SAP FI als auch in SAP SD (Sales & Distribution = Vertrieb) etabliert. Gerade weil es sich um eine traditionelle Vorgehensweise handelt, sollte man diese mit den heutigen neuen Möglichkeiten auf den Prüfstand stellen. Diese klassische Kundenkreditkontrolle sperrte bei Ausschöpfung eines Limits die Auslieferung bzw. Leistungserbringung in der Logistik bis zur Klärung des Vorfalls. In der Regel telefonierten Buchhaltung und Vertrieb und versuchten, eine Einigung zu erreichen. Die Buchhaltung verfolgte das Ziel, die Summe der Forderungsausfälle gering zu halten, und der Vertrieb war bestrebt, das Geschäft, das relevant für seinen Bonus ist, abzuschließen.
An diesem traditionellen Zielkonflikt ändert auch Software erst einmal nichts. Es werden aber zusätzliche Hilfestellungen geboten, um auf alle notwendigen Informationen zugreifen zu können und schneller zu einer Entscheidung zu kommen. Die Kundenkreditkontrolle war beschränkt auf
ein R/3 SD- und FI-System, in dem entscheidungsrelevante Daten zur Verfügung standen. In der Praxis benötigt man jedoch eine Gesamtsicht auf einen Kunden über alle Logistik- und Finanzsysteme hinweg. Unterschiedlich vergebene Debitorennummern in den Vorsystemen müssen zu einer einheitlichen Kundensicht zusammengefasst werden. Externe Daten von Ratingagenturen konnten nicht ohne erheblichen Aufwand eingespielt werden. Kreditlimitveränderungen waren statisch, und Entscheidungen konnte man in der R/3-Kundenkreditkontrolle nur begrenzt
dokumentieren. Mit dem Ziel, diese Nachteile zu beseitigen, wurde im Rahmen von SAP ERP Financials das FSCM Credit Management entwickelt.
Bonitätsprüfung
In der Bonitätsprüfung werden Neu- und Bestandskunden aufgrund von
externen und internen Daten eingeschätzt. Bei Bestandskunden sind
interne Informationen über vereinbarte Zahlungsbedingungen, Zahlungsverhalten
und Mahnstufen eine gute Quelle, um eine Einschätzung vornehmen
zu können. Kommen die FSCM-Komponenten Collections
Management für Zahlungsversprechen und Dispute Management für Klärungsfälle
zum Einsatz, können auch diese Informationen bei der Beurteilung
eines Bestandskunden sehr hilfreich sein. Insbesondere deshalb, da
diese Prozessschritte im Gegensatz zum Mahnverfahren früher stattfinden
und deshalb auch potenziell zeitlich vorgezogene Erkenntnisse bei
verändertem Kundenverhalten reflektieren.
Externe Auskunfteien sind hingegen bei einer Beurteilung von Neukun- Neukunden
den unerlässlich. Da interne Informationen i.d.R. noch nicht vorliegen,
ist es üblich, dass an dieser Stelle Informationen eingekauft werden. Auskunfteien,
wie z.B. D&B, Credit Reform oder Bürgel, liefern komprimierte
Informationen mittels Rating und/oder Details wie z.B. Unternehmensgründung
oder die Bilanzen der letzten fünf Jahre. Hier ist es eine Ausrichtung
der eigenen Kreditstrategie, die sehr unterschiedlich ausgeprägt
sein kann.
Im Rahmen der Bonitätsprüfung ist neben der Informationsbeschaffung
und Speicherung mittels Geschäftspartner die Verwertung dieser Informationen
in unterschiedlichen Bewertungsverfahren bzw. in Score-
Modellen ein nächster Schritt. Anhand von Schwarz- und Weißlisten findet eine Vorsegmentierung statt. Verbundene und assoziierte Unternehmen und sehr gute Kunden bekommen
mit ihrer Zugehörigkeit zur Weißliste automatisch immer Kredit. Weitere Dimensionen zur Ausprägung einer Kreditprüfungsstrategie sind
neben den Bewertungsverfahren unterschiedliche Risikoklassen, Prüfregeln
und Kreditgruppen. Durch eine Kombination dieser Kriterien ist eine
feine Segmentierung möglich. Auf diesem Fundament bauen die verschiedenen
Scoring-Modelle auf.
Ist das Ergebnis der Kreditlimitprüfung negativ, sind Folgeaktivitäten zu
definieren. Beispielsweise kann mittels eines internen Workflows ein
Kundenanruf erfolgen, bei dem eine Anzahlung eingefordert wird. Oder
es findet zunächst eine interne Akzeptanz des Auftrags statt, gleichzeitig
wird aber das Kreditlimit zu erhöhen sein, oder eine Warenkreditversicherung
muss abgeschlossen werden, ansonsten kann der Auftrag nicht
beliefert werden.
Integration
Die Kreditlimitprüfung baut auf diesen zentralen Stammdaten im FSCM
Credit Management auf. Im Idealfall sind alle existierenden Vertriebs-,
Logistik- und Rechungswesensysteme integriert – nicht nur im Hinblick
auf Stammdateninformationen, sondern auch bezüglich offener Aufträge,
Posten oder auch gegebener Anzahlungen, Bürgschaften und Warenkreditinformationen
etc. Es ergibt sich eine einheitliche, zentrale Sicht auf
den jeweiligen Kunden zur unternehmensweiten Verwaltung der Kreditlinien
über alle Unternehmens- und Vertriebseinheiten hinweg. Dass bei
diesem Ansatz Systemgrenzen keine Rolle spielen dürfen, liegt auf der
Hand. Umso höher ist die Rolle der SAP Exchange Infrastructure (XI) als
einer zentralen, performanten »Datendrehscheibe« zu gewichten.
Mit der SAP Exchange Infrastructure (XI) werden Logistik- und Finanzsysteme
sowie externe Finanzdienstleister integriert. Kundenstammdaten
werden aus den verschiedenen Applikationen übernommen und als SAP
Objekt Geschäftspartner zentral im FSCM Credit Management abgelegt.
In einem ersten Projektschritt gilt es hier das Volumen der stetig überprüften
Kunden mit ihren Anfragen, Aufträgen und Warenbewegungen
abzuschätzen. Die Infrastrukturkomponente XI muss besonders auch bei
Anfragespitzen eine Realtime-Verbindung zu den einzelnen Systemen
gewährleisten.
Kosten und Nutzen
Letztendlich stellt sich die Kosten-Nutzen-Frage. Eine komplette Vermeidung
von Forderungsausfällen wird auch anhand der besten Kreditstrategie
nicht möglich sein. Zumindest nicht, ohne das operative Geschäft
nachhaltig negativ zu beeinflussen. Oberstes Unternehmensziel ist es
nach wie vor, Waren und Dienstleistungen zu verkaufen. Der Nutzen liegt
also in einer Verminderung von Forderungsausfällen, d.h., man nimmt
die Wertkorrekturen der letzten Jahre und unterstellt einen Prozentsatz x
als potenziellen Nutzen für Kreditauskünfte. Auf der anderen Seite sind
auch die Kosten zu berücksichtigen. Ein einfaches Rating ist billiger als
eine vollständige Unternehmensauskunft. Auskunfteien verlangen unterschiedliche
Preise, bieten aber auch unterschiedliche Qualitäten je nach
Land, Branche oder anderen Kriterien.