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  Keine Rechnungslegungspflicht für Kleinstunternehmen

Eine zweifelhalfte Initiative: Jahresabschlüsse sind eine unverzichtbare Informationskomponente im Credit Management der Unternehmen.


Das Europäische Parlament hat am 10.März 2010 die Entscheidung getroffen, Kleinstunternehmen (sog. „micro entities“) von der Pflicht zu befreien, einen Jahresabschluss aufzustellen. Stimmt der (in dieser Frage nicht einige) Europäische Rat zu, kann es zu einer Änderung der Bilanzrichtlinien in Europa kommen. Die Mitgliedstaaten bekämen dann das Wahlrecht, Kleinstunternehmen (Kapitalgesellschaften unterhalb der Größenkriterien: Bilanzsumme unter 500.000 Euro, Netto-Umsatz unter 1.000.000 Euro und/oder Zahl der im Geschäftsjahr durchschnittlich beschäftigten Mitarbeiter kleiner als 10) vom Anwendungsbereich der Vorschriften zur Umsetzung der EU-Bilanzrichtlinien auszunehmen.

Mit diesem Beitrag werden zwei Zielsetzungen angestrebt. Zunächst soll der herausragende Nutzwert der Jahresabschlussanalyse für Kreditentscheidungen aufgezeigt werden. Darauf aufbauend wird begründet, dass ein etwaiger Verzicht auf Erstellung und Offenlegung von finanzwirtschaftlich relevanten Unternehmensinformationen die Kreditvergabe an und -aufnahme von „micro entities“ grundlegend erschweren würden. Die besondere Bedeutung dieser Thematik wird deutlich, wenn man bedenkt, dass sie rund 75 Prozent der insgesamt 7,2 Mio. Unternehmen betrifft, die in Europa rechnungslegungspflichtig sind. Man geht europaweit von 5,4 Mio. Kleinstunternehmen aus!


Nutzwert des Jahresabschlusses bei Kreditentscheidungen
Die Analyse der Finanz-, Vermögensund Ertragslage von Unternehmen liefert wertvolle Informationen für die erstmalige Bonitätsprüfung bei Neukunden und das Bonitätsmonitoring von Bestandskunden. Zur kostenlosen und schnellen Beschaffung dieser Informationen nutzt das Credit Management in Deutschland die Internetplattform www.unternehmensregister.de. Dieser komfortabel gestaltete Zugriff (z.B. Suchfunktionalitäten, Antwortverhalten, Trefferliste, Dokumentdarstellung) auf die Finanzdaten von offenlegungspflichtigen Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und anderer publizitätspflichtiger Unternehmen unterstützt wirkungsvoll die Einbeziehung finanzieller Unternehmensdaten im Credit Management. Der Jahresabschluss beantwortet auch ohne zeitaufwändige Kennzahlenanalyse zentrale Fragen, die bei jeder Bonitätsprüfung eine große Bedeutung haben, wie z.B.:


• Wie entwickelt sich das Unternehmen? (z.B.: Investitionstätigkeit verbunden mit Unternehmenswachstum; Liquidation von Vermögensteilen zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit; Einschätzung der finanziellen Reserven)

• Wer ist in welchem Umfang finanziell engagiert? (z.B.: Eigenkapitalausstattung; Gläubigerstruktur; Fristigkeiten der Verbindlichkeiten)

• Wie entwickelt sich das operative Geschäft? (z.B.: Umsatz, Umsatzentwicklung; Aufwands- und Ertragsstruktur;Betriebsergebnis)

• Welchen Erfolg erzielt das Unternehmen? (z.B.: Jahresergebnis; außerordentliche Ergebniskomponenten)

• Wie ist die finanzielle Situation und Stabilität des Unternehmens? (z.B.: Cash Flow; Liquiditätsreserven; Working Capital; Schuldentilgungskraft)


Aussagekraft ausgewählter Jahresabschlusskennzahlen
Durch Berechnung und Analyse von geeigneten Kennzahlen können grundlegende Aussagen über die Zahlungsfähigkeit oder Überschuldungssituation des zu beurteilenden Unternehmens gemacht werden. Dies setzt Informationen aus der Rechnungslegung voraus und soll hier mit Hilfe eines kleinen Beispiels (siehe Kasten) verdeutlicht werden.




Die Kennzahl Lieferantenziel informiert darüber, in welchem Umfang Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen noch offen sind (im Beispiel 41,2 Prozent des gesamten Materialaufwands des Jahres) und mit welcher Fristigkeit der Kunde seine Lieferantenverbindlichkeiten im Mittel ausgeglichen hat (im Beispiel 124 Tage). Unter Berücksichtigung der branchenüblichen Ziele und etwaiger Saisoneffekte kann das Zahlungsverhalten entsprechend klassifiziert und mit den eigenen Erfahrungswerten verglichen werden. Fehlen entsprechende Begründungen, sind beide genannten Werte deutlich zu hoch und signalisieren ein sehr schlechtes Zahlungsverhalten des potenziellen Kunden.

Die Kennzahl Kundenziel zeigt andererseits, wie es dem Kunden gelingt, eigene Zahlungseingänge aus Forderungen zu realisieren. Hohe Außenstände (im Beispiel 24 Prozent des Jahresumsatzes) können die Folge eines schlechten Forderungsmanagements sein, hohe Reklamationsquoten signalisieren und auf geschwächte Liquidität hinweisen. Im Beispiel benötigt der Kunde im Mittel 73 Tage, ehe die Forderungen in Geld umgewandelt werden. Beide Werte sind sehr hoch und offenbaren bereits vorhandene Liquiditätsprobleme des Kunden.

Die Kennzahl Bilanzielle Überschuldung zeigt an, in welchem Umfang der Buchwert des ausgewiesenen Vermögens (Bilanzsumme – Negatives Eigenkapital) nicht ausreicht, um die vorhandenen Schulden abzudecken. Aus externer Sicht kann nur aus der Bilanz die im Risikomanagement geforderte Frühwarninformation über eine drohende insolvenzrechtliche Überschuldung des Kunden abgeleitet werden. Negatives Eigenkapital wird in der Kreditwirtschaft grundlegend als Negativmerkmal interpretiert. Weist das Unternehmen keine Ausgleichspositionen auf (z.B. Gesellschafterdarlehn in ausreichender Höhe, hinreichende stille Reserven, harte Patronatserklärung der Muttergesellschaft) ist die Kreditwürdigkeit des Unternehmens nicht gegeben. Im Beispiel macht das negative Eigenkapital bereits 102 Prozent der korrigierten Bilanzsumme aus eine drohende insolvenzrechtliche Überschuldung wird erkennbar.

Die oben genannten Kennzahlen, die speziell für Entscheidungen des Credit Managements nutzbar sind, werden in der Analysepraxis durch weitere Sollprüfkriterien ergänzt. Wichtig sind dabei Kennzahlen zur Beurteilung der Verschuldungssituation (Verschuldungsgrad, Eigenkapitalquote), der fristenkongruenten Finanzierung (Deckungsverhältnisse, kurz-, mittel- und langfristige Verbindlichkeiten), der Ertragslage (Eigen- und Gesamtkapitalverzinsung) und der Innenfinanzierungskraft (Cash Flow, Cash Flow-Quoten). Betriebswirtschaftliche Untersuchungen bescheinigen solchen Kennzahlen eine hohe Diagnosekraft bei der Einordnung von Unternehmen zu der Gruppe solventer bzw. insolvenzgefährdeter Unternehmen.


Rechnungslegung für Kreditentscheidungen unersetzbar
Vor dem aufgezeigten Hintergrund erscheinen die oben umrissenen Bemühungen der Europäischen Union, „micro entities“ von der Rechnungslegung bzw. Offenlegung zu befreien, als ein falscher Weg, Bürokratieabbau in der EU zu betreiben. Lieferanten, Kreditversicherer, Leasingund Factoringgesellschaften sind zur Beurteilung der Bonität gerade von haftungsbeschränkten Rechtsformen dringend auf Informationen zur Beurteilung der Zahlungsfähigkeit und Überschuldungssituation angewiesen. Die Zugriffe auf das deutsche Unternehmensregister dokumentieren eine außerordentlich hohe Nutzungsintensität der von den Unternehmen veröffentlichten Jahresabschlüsse, insbesondere der von Kleinstunternehmen.

Bundesjustizministerin Leutheusser- Schnarrenberger hat in einer Stellungnahme am 10. März 2010 den Vorschlag des Europäischen Parlaments zur Vereinfachung des europäischen Bilanzrechts begrüßt. Nach ihrer Einschätzung würde dies „…Deutschland ermöglichen, die Bilanzierung besonders kleiner Gesellschaften zu erleichtern, namentlich bei der GmbH und der GmbH & Co. KG...Wir wollen Spielräume für sinnvolle Erleichterungen“. Es bleibt somit abzuwarten, wie die Bundesregierung mit dieser angebotenen Option (es handelt sich dabei nicht um eine Verpflichtung) umgehen und die §§ 264 ff HGB zur Bilanzierung und Publizität gestalten wird.

Wie sieht der „Mindeststandard“ an Aufzeichnungen über den Geschäftsverkehr und die finanzielle Lage bei „micro entities“ zukünftig aus? Die schon heute vorhandenen Erleichterungen für kleine Kapitalgesellschaften dürfen nach Meinung der Credit Manager nicht noch weiter aufgeweicht werden. Zukünftig wird auch zu diskutieren sein, ob die avisierten kalkulatorischen Einsparungen durch EU-Bürokratieabbau nicht teuer „erkauft“ werden. Für Kreditentscheidungen sind Finanzinformationen von Unternehmen nicht substituierbar. Aus Sicht der Credit Manager ist der Verzicht auf Rechnungslegung und Offenlegung kein gangbarer Weg. Sie sind auf öffentlich verfügbare Informationen angewiesen und müssen – gerade unter Kostengesichtspunkten – in der Lage bleiben, im Tagesgeschäft schnelle und fundierte Kreditentscheidungen zu treffen.

Aus Sicht der Kredit suchenden Unternehmen dürfte ein Verzicht auf Rechnungslegung ebenfalls nicht empfehlenswert sein, denn der lebenswichtige Lieferantenkredit wird in diesem Fall nur noch zurückhaltend fließen! Eine Absicherung durch Kreditversicherungen würde deutlich erschwert und das Factoring von Forderungen unmöglich werden.


Quelle: Verein für Credit Management e.V.| Prof. Dr. Bernd Weiß, bernd.weiss@hs-bochum.de


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