Im Verlaufe der Jahre 2008 und 2009 ist wohl auch dem letzten Zweifler deutlich
geworden, dass die Wirtschaft global vernetzt ist. Die sehr komplexen und global
verlaufenden Finanzströme haben dazu beigetragen, dass eine lokal beginnende
Krise zu einer weltweiten Krise wurde. Stärker als jemals zuvor gelangten die unterschwellig
existierenden Vernetzungen ans Tageslicht und haben verdeutlicht, dass
unternehmerisches Handeln nicht mehr ohne ein entsprechendes Bewusstsein erfolgreich
sein kann.
Daher muss auch das Credit Management als zuständige Funktion für die folgenden Vitalparameter, „glocal“ ausgerichtet
sein: Risikobereitschaft, Liquidität, Auftragsdurchfluss „Glocal“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass
global einsetzbare Standards in lokal wirksame Maßnahmen umgesetzt werden müssen. Neben den üblichen Grundsätzen,
dass die lokalen Marktgegebenheiten bekannt sein und dass umfangreiche Kenntnisse über die eigenen
Kunden bestehen sollten, spielen weitere spezifische Erfordernisse eine Rolle. Ein international ausgerichtetes Credit Management
sollte berücksichtigen, dass die Credit Policy und das damit verbundene Prozedere nicht zu viel Freiraum für
eine lokal differenzierte Anwendung einräumen. Eine zu eng gefasste Regulierung würde dazu führen, dass zu viele
Ausnahmeregelungen in der globalen Policy definiert werden müssten. Damit ginge die erforderliche Klarheit und Eindeutigkeit
verloren.
Zahlungsbedingungen
Ein gutes Beispiel dafür sind die Zahlungsbedingungen, die häufig landesspezifischen Marktbedingungen entsprechen
müssen. Bei einer segmentierten Vorgehensweise empfiehlt es sich hier, auf globaler Ebene die drei Kategorien
der kurzen, mittleren und langen Zahlungsbedingungen den unterschiedlichen Kundengruppen zuzuordnen und
auf lokaler Ebene die dazugehörigen Zeiträume zu definieren. Die rechtlichen Rahmenbedingungen stellen einen weiteren
Bereich dar, der Überraschungen in sich bergen kann. Wirkliche Experten (Berater) mit vollumfänglichem Knowhow
sind an dieser Stelle sehr rar gesät. Sei es beispielsweise bei der steuerlichen Gesetzgebung, die in China auf Provinzebene
geregelt oder in Brasilien extrem komplex mit verschiedenen Steuervarianten strukturiert ist und bei der man
leicht dazu geneigt ist, die Steuerfindung in der Rechnungsstellung an externe Partner zu vergeben. Dies setzt
sich fort bei der Frage, in welchen Ländern unter welchen Bedingungen eine elektronische Rechnungstellung möglich
ist und ob diese als steuerlich relevante Originalrechnung akzeptiert wird.
Auch hier besitzen Länder wie China, Russland und Brasilien einen Sonderstatus. Dort, wo die elektronische Fakturierung nicht
direkt einsetzbar ist, lässt sich die Funktionalität als unterstützender Service einsetzen, denn in vielen Ländern funktioniert
der Postservice nicht wirklich wie z.B. in Russland, Polen, Indonesien etc. Ähnlich schwierig wird es bei buchhaltungsspezifischen
Fragen wie u.a. der Ausbuchung von Forderungen oder der Frage, wie in Frankreich Zahlungsdifferenzen
ausgeglichen werden. In China ist es beispielsweise nicht zulässig, ohne Weiteres Zahlungen von einer Gesellschaft
zu einer anderen Gesellschaft zu transferieren. Andere Länder unterbinden schlichtweg den Devisenabfluss aus
dem Land und verhindern dadurch den Ausgleich von Forderungen. Beispiele dafür sind der Sudan und Bangladesch.
Zahlungsmentalitäten
Hier kommen die verschiedenen Zahlungsmethoden wie der immer noch sehr hohe Anteil an Scheckzahlungen in
Großbritannien oder Wechselzahlungen in Frankreich bzw. der Türkei ins Spiel. Nicht zu vergessen, der langwierige
RIBA-Prozess in Italien. Auf der anderen Seite ist positiv zu vermerken, dass Märkte wie Australien eine sehr hohe
Affinität für elektronische Zahlungsweisen haben und die Einzugsermächtigung in Frankreich stark verbreitet ist. Derartige
Herausforderungen setzen sich im betrieblichen und gerichtlichen Mahnwesen fort. Sei es aufgrund von Einschränkungen
beim Einsatz von Inkassounternehmen oder schlichtweg bei der Wirksamkeit des externen Inkassos, weil
die Erhebung von Inkassogebühren nicht möglich ist oder das externe Inkasso gänzlich untersagt ist. Da überrascht es
nicht, dass in einigen asiatischen Märkten wie in Indien oder Indonesien der Job des Field-Collectors weit verbreitet
ist. Ein Field-Collector besucht seine Kunden auch im Bereich der Kleinstforderungen, um Forderungen zu kassieren
und ggf. auch Aufträge anzunehmen.
Sollte es zu Reklamationen kommen, hilft es, darauf vorbereitet zu sein, dass in einigen Märkten wie in Japan, China
und anderen asiatischen Märkten eine Beschwerde eher unüblich ist, allerdings ein Nachverhandeln gerne versucht wird.
Jedoch lassen sich derartige Ereignisse nur schwerlich strukturiert behandeln. Auch in Südeuropa, wie in Italien, ist es
durchaus gängig, den zuvor vereinbarten Preis nach Rechnungsstellung noch einmal verhandeln zu wollen.
Lösungsansätze
Selbstverständlich gibt es für sämtliche der zuvor genannten Herausforderungen Lösungen, die jedoch in aller Regel auf
den Erfahrungen lokaler Experten beruhen. Die Bündelung dieses lokal vorhandenen Wissens und diesbezüglicher
Erfahrungen ist eine der Hauptaufgaben für die Organisation eines erfolgreichen internationalen Credit Managements. Es
kann allerdings schon mal leicht ein paar Jahre dauern, bis man eine zuverlässige Expertenbasis zentral aufgebaut hat. Mit
modernen Möglichkeiten der vernetzten Kommunikation kann vieles über Videound Telefonkonferenzen oder auch Webcasts
zusammengetragen werden. Sehr hilfreich ist es, mit Repräsentanten aus den Hauptmärkten regelmäßige Expertenrunden
zu organisieren und konkrete Best Practices zu sammeln – und diese in einer global verfügbaren Datenbank
vorzuhalten. Dies hat den weiteren Vorteil, dass diese Datenbank auch für den internen Know-how-Transfer eingesetzt
werden kann, ohne dass zeitaufwendige Reisen organisiert werden müssen. Sehr schnell lässt sich dann belegen, dass die
Organisationseinheiten mit dem höchsten Anwendungsgrad im Bereich Best Practices auch nachhaltig die besten Ergebnisse
produzieren.